Über #HoffnungimBlick
2025 sind auf dem Wissensblog #neugierigbleiben Menschen die mit Medien arbeiten eingeladen, ihren Blick auf Hoffnung zu teilen: Was bedeutet Hoffnung für sie? Was gibt ihnen Hoffnung in ihrem ...
Beitrag lesenDas ganze Gespräch mit noch mehr Hintergründen und Zusammenhängen: Am Mittwoch, 31.1.2024 hat Sarah Vecera bei Zukunft, Trends & Diskurse hinter die Kulissen ihres Instagram Accounts @moyo.me blicken lassen. Sie hat erläutert, welches Anliegen sie mit ihrem Account verfolgt und welchen Einfluss ihre digitale Präsenz auf ihre analoge Arbeit hat. Außerdem teilte sie Wissen zu den Ebenen von Rassismus, Wirkweisen und welche Herausforderungen es mit sich bringt, als eine Person zu dem Thema zu arbeiten, die selber negativ durch Rassismus benachteiligt ist.
Ich finde, es ist hilfreich zu verstehen und zu hören, was sich hinter den Kulissen abspielt, gerade wenn man sich als marginalisierte Person zu Diskriminierung äußert. Das hat Auswirkungen, die für viele nicht sichtbar sind. Was relativ verständlich ist und ich sage das auch nicht, um jemand einen Vorwurf zu machen. Genau deshalb freue ich mich, dass ich bei Zukunft, Trends und Diskurse meine Perspektive mit der Fachzielgruppe der Evangelischen Medienakademie teilen kann.
Erstmal zum Namen: Moyo ist Suaheli und heisst Herz. Moyo.Me ist eine Kunstform aus Moyo und Me und ich wollte damals schon deutlich machen, dass ich ein Herzensanliegen habe. In aller Schwere, die das Thema Rassismus mit sich mitbringt, war es mir wichtig, nicht Menschen zu beschuldigen oder zu beschämen und das ist auch bis heute mein Anliegen. Den Account @moyo.me gibt es seit 2017 und seit ungefähr 2019 poste ich auch inhaltlich Dinge aus meiner Bildungsarbeit bei den Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Das hat aber lange Zeit nicht so viele Menschen interessiert.
Seit 2013 arbeite ich für die VEM und mache dort Bildungsarbeit hinsichtlich Rassismus. Lange Zeit mit Freiwilligen, das heißt für Menschen aus Deutschland, die für ein Jahr nach Asien oder Afrika gehen und auch für Menschen aus Asien und Afrika, die für ein Jahr nach Deutschland kommen. Dort gebe ich auch heute noch Trainings. Das Thema Rassismus als gesamtgesellschaftliche Struktur, beschäftigt mich Zeit meines Lebens: Seitdem ich in eine weiße Dominanzgesellschaft hineingeboren wurde.
Seit 2020, nachdem zwei Vorfälle geschahen: Einmal in Hanau, der rassistische Amoklauf am 19. Februar und der Mord an Georg Floyd am 25. Mai in Minneapolis. Das hat beides dazu geführt, dass in der Pandemie Menschen auf die Straße gegangen sind und es war das erste Mal in Deutschland, dass Menschen für die Rechte Schwarzer Menschen demonstriert haben. Das hat natürlich viel Diskussion in die Gesellschaft gebracht. Denn bei Rassismus haben wir lange Zeit an die Nazis gedacht, wir haben an Rechtsextremismus gedacht. Aber wir haben Rassismus nicht als etwas wahrgenommen, das gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat: Nämlich in allen Facetten in unserer Gesellschaft und auch wir selber rassistisch geprägt sind. Und damit meine ich uns alle. Ob wir negativ dadurch getroffen sind, oder bevorteilt sind. Rassismus ist etwas, das uns prägt.
Ja, denn 2020 kam erst eine gesamtgesellschaftliche Diskussion auf. Und so fragte sich auch die Kirche „dann haben wir vielleicht auch etwas damit zu tun“. Dadurch gab es dann auch mehr Aufmerksamkeit auf meinen Instagram Account. Denn bis dato gab es gar nicht viele Menschen in der Kirche, die dazu gearbeitet haben. Es gab schon auch ein Buch zum Thema vom Kollegen Emmanuel Kileo, der jetzt Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachsen (ELM) ist, in dem er sich mit Rassismus in den Nord-Südpartnerschaften in der Ökumene beschäftig hat und von Eske Wollrad, Theologien und Geschäftsführerin der Männer und Frauenarbeit der EKD, ein Buch über kritisches Weiss-Sein. Aber das war alles in einer bestimmten Nische und man war auf der Suche, wo es etwas zum Thema Rassismus und Kirche gibt und so wurden die Menschen auf meinen Instagram Account aufmerksam.
Dadurch nahm das Thema auch bei mir auf Instagram viel mehr Raum ein. Bis dahin hatte ich ungefähr 900 Follower*innen. Das waren alles Menschen, die ich noch weitest gehend kannte. Durch die hohe Aufmerksamkeit hat sich moyo.me mehr und mehr zu einem öffentlichen Account entwickelt. Was ich sehr gut fand, aber was natürlich auch mit Arbeit verbunden war. Denn plötzlich folgten mir mehr Menschen und die wollten Antworten und das war so alles erstmal nicht vorhersehbar.
Das stimmt, die Situation hat Fragen aufgeworfen. Es war in der Pandemie und ich wusste noch gar nicht, wie ich das einordnen und organisieren sollte: Hat das jetzt was mit meiner Arbeit zu tun, oder nicht? Ist hier mein privater Account und in welchen Bezug steht er zu meiner Arbeit? Das waren Fragestellungen die auch sehr viel Konfliktpotenzial in sich bargen. Vor allem als Angestellte, die auch Dinge aus ihrer Arbeit gepostet hat. Da mussten meine Arbeitgeberin, die VEM, meine Vorgesetzte und ich uns erstmal finden. Wir mussten uns sortieren und niemand hatte Erfahrung, wie man die Balance hält. Das war ein Findungsprozess, der auch von Konflikten begleitet war. Gleichzeitig war es wichtig für uns alle bei der VEM, weil wir das Thema in die Öffentlichkeit bringen wollten.
Weil uns die Sichtbarkeit von marginalisierten Stimmen wichtig ist. Meine Vorgesetzten kommen aus Asien und aus Afrika. Rassismuskritische Organisationsentwicklung hat die VEM seit über 20 Jahren quasi durch. Das ist ein Stichwort mit dem sich Kirche, oder auch im Diversity Management anderen Organisationen, in Deutschland befassen und an vielen Stellen ratlos sind. Unser Anliegen war und ist, dieses Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Genau das tue ich und wir haben mittlerweile ein gutes Miteinander gefunden: Es ist mein privater Account und es hat niemand von meiner Arbeitgeberin Zugriff. Aber die Arbeit auf Instagram ist inhaltlich zwangsläufig auch Teil meiner Arbeit ohne dass es offiziell in meiner Stellenbeschreibung stehen muss.
Genau und deshalb wird das was wahrgenommen wird, häufig als Provokation und als Ärger empfunden. Wenn ich auf rassistische Bilddarstellungen auf Kommentare im kirchlichen Raum aufmerksam mache, dann bekomme ich ganz oft die Rückmeldung „Das hätte doch nicht so öffentlich sein müssen“. Aber ich sehe es als Lernerfahrung für uns alle. Zugleich weiß ich, dass es denen, die es in dem Moment trifft, sehr weh tut und man erstmal hilflos ist. Weil man in dem Moment nicht weiß, wie gehen wir damit um? Aber wir brauchen dieses gemeinsame Lernen, gerade in der Kirche. Denn - und das ist einer unserer größten Missstände: Unsere Kirche ist nicht nur weiß, unserer Kirche ist auch hochgradig akademisch. Wir sprechen häufig, gerade in kirchlichen Gremien, eine Sprache, die die Menschen außerhalb der Kirche kaum noch verstehen. Das ist ein Problem, weil uns dadurch Perspektiven fehlen. Wir können den Großteil einer multidiversen Migrationsgesellschaft dadurch gar nicht mehr ansprechen. Aber wir können manches dadurch lernen, in dem wir marginalisierte Stimmen sicht- und hörbar machen, die auf Missstände hinweisen. Das tut auf Social Media manchmal weh, das weiß ich. Aber es hat auch große Chancen, in dem wir es als Lernen begreifen. Es gibt Beispiele, in denen uns das auch schon gelungen ist.
Ich will eine Metapher erzählen die der Soziologe und Bildungswissenschaftler Aladin El-Mafaalani beschreibt: In seinem Buch „Das Integrations-Paradox“ verwendet er diese Tisch Metapher. Wir können uns eine multidiverse Migrationsgesellschaft wie einen Tisch vorstellen, an dem alle einen Platz haben, einen Stück vom Kuchen haben. In dieser Gesellschaft, in der Menschen in der ersten, zweiten, dritten, vierten oder fünften Generation leben, ist es so, dass Menschen mit Migrationsgeschichte oder internationaler Familiengeschichte mittlerweile mit am Tisch sitzen. Gleichzeitig gibt es auch Menschen, die noch am Boden sitzen. Es gibt Menschen, die wollen gar nicht mit am Tisch sitzen, es gibt Menschen, die sitzen am Tisch und haben schon ihr Stück Kuchen und jetzt gibt es Menschen, die mitbestimmen und mitgestalten wollen: Die sagen, „Moment mal, wir müssen das Rezept vom Kuchen ändern“. All diese Gleichzeitigkeit gibt es in unserer Gesellschaft.
In der Kirche ist es häufig so, dass die Menschen nicht mit am Tisch sitzen. Und das ist ein Problem. Es gibt Menschen, die wollen das Rezept vom Kuchen nicht ändern, aber das Rezept sollten wir langsam ändern: Denn wir leben in einer Zeit, in der wir Mitglieder verlieren, in der wir Menschen nicht mehr erreichen - vor allem Menschen mit internationaler Familiengeschichte und davon gibt es viele in Deutschland: 26% der Erwachsenen haben in Deutschland Migrationsgeschichte und fast 50% aller Grundschüler*innen haben internationale Familiengeschichte. Wenn wir das demographisch hochrechnen, dann werden wir uns als Kirche damit auseinandersetzen müssen und andere Perspektiven einnehmen.
Social Media bietet eine Chance zu partizipieren. Denn ohne Social Media würde ich nicht in eine Synode eingeladen werden und auf Dinge aufmerksam machen. Da bietet Social Media eine sehr gute Möglichkeit zu partizipieren und das Wort zu ergreifen. Denn die Menschen entscheiden dort selber, wem sie zuhören wollen. Auf Social Media wird eine andere Form der Hierarchie gestaltet. So werden Dinge sichtbar gemacht, die gar keine Möglichkeit haben in anderen kirchlichen Räumen sichtbar zu werden. Das passiert auch gesamtgesellschaftlich: Es gibt große Accounts, die auf Dinge aufmerksam machen. Beispielsweise den Account von @Tupoka Ogette kann ich sehr empfehlen. Dort gibt es sehr viele Learnings. Sie und ihr Team leisten viel Bildungsarbeit auf Social Media. Aber auch in der Kirche gibt es Menschen, wie beispielsweise @natheology und @pastor_vanniekaap. Aber nicht nur aus dem Bereich Rassismus, sondern auch aus dem Bereich Queerness und Abelisums (Diskriminierung im Bereich Behinderung) gibt es Accounts wie @lauterleise, die auf Dinge hinweisen, weil sie sonst in der Kirche nicht gehört werden.
Das hat etwas mit Macht zu tun. Es gibt Menschen, die sind im Machtzentrum der Kirche und andere Menschen sind es nicht. Welche Menschen sind in Leitungsfunktion? In Synoden und welche Menschen können mitbestimmen und aktiv Kirche gestalten? Das sind häufig Menschen, die sich im inneren Kreis des sogenannten „Wheel of Power“ (Link zum Arbeitsblatt Charta der Vielfalt) befinden. Menschen die eine Hochschulausbildung haben, die deutsche Staatsbürger*innen sind, weiß sind, Deutsch als Erstsprachen haben, die wohlhabend sind, die Eigentum haben, ohne Behinderung, heterosexuell. Natürlich nicht nur, es gibt immer Ausnahmen, aber wir bewegen uns vorrangig sehr im Zentrum dieses Kreises. Und deswegen fehlen uns häufig die Außenperspektiven.
Auf Social Media ist es möglich, diese Perspektiven sichtbar zu machen. Aber wenn wir es gewohnt sind, im Zentrum dieses Kreises, die Norm zu gestalten, dann ist es völlig selbstverständlich, dass man es erstmal nicht wahrnehmen will, wenn von Außen jemand laut schreit und etwas sagt, was bisher noch nicht bedacht war. Zum Beispiel Körperliche Fähigkeiten: Kanzeln sind nicht dazu gebaut, dass jemand im Rollstuhl dort predigen kann. Eine Stimme, die diese Norm in Frage stellt, wird erstmal als Störfaktor empfunden, bevor darüber ernsthaft nachgedacht wird. Denn es stimmt, Kanzeln sind nicht dazu gebaut, dass eine Person im Rollstuhl dort predigen kann. Unsere Kirchenräume sind nicht dafür gestaltet. In mir weckt das einerseits ein Gefühl von Scham, weil es mir nie aufgefallen ist, andererseits komme ich auch direkt in die Verteidigung. Nach dem Motto „na ja, es waren andere Zeiten, als die Kirchen gebaut wurden… da müssen wir jetzt auch mal gucken… der Umbau ist mit hohen Kosten verbunden“. Das sind ja Dinge, die sich automatisch in meinem Kopf abspielen. Mir ist klar, auf Social Media ist das alles potenziert und in den Kommentarspalten eskaliert es.
Menschen die negativ durch Rassismus benachteiligt werden, haben von Geburt ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas nicht stimmt. Das sind unsere Überlebensmechanismen, die wir uns schon im Kindergarten antrainieren mussten. Dadurch haben wir Fähigkeiten entwickelt, manche Dinge zu spüren und auch darauf zu reagieren. Ich merke, wenn ich auf Dinge aufmerksam mache, dass diese wirklich von anderen Menschen nicht gesehen oder wahrgenommen werden. Da mache ich Menschen gar keinen Vorwurf. Sondern möchte durch meine Perspektive vor allem ein Lernen ermöglichen.
Social Media ist ein Sprachrohr, wo ich Gehör finde. Natürlich nutzte ich Instagram lieber, als in einen anderen Ort, wo ich weniger Menschen erreiche. Denn mein Anliegen ist, ein gemeinsames Lernen in der Kirche zu gestalten. Social Media bietet mir dazu die Möglichkeit. Aber es haben sich daraus auch zusätzlich unterschiedliche Formate entwickelt. Wie das feste Bildungsformat in der VEM, der Podcast „Stachel und Herz - unser Traum von Kirche“. In diesem Podcast beschäftigen wir uns zweimal im Monat mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung. Wir haben behinderte Menschen, queere Menschen, Menschen die negativ durch Rassismus benachteiligt sind in unserem Podcast zu Gast. Und wir greifen aktuelle Themen auf. Im Januar haben wir beispielsweise erklärt, warum Blackfacing eine rassistische Tradition ist und geben Hintergrundwissen und Anfang Februar erschien eine Folge zur Sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche mit Detlev Zander, dem Sprecher des Beteiligungsforums. Den Podcast haben wir in der Pandemie entwickeln müssen, weil wir durch den Wegfall der analogen Formate unsere Bildungsarbeit neu erfinden mussten. Mittlerweile hören uns viele Menschen, weil wir eine Perspektiven zeigen, die sonst in der Kirche nicht so geläufig sind. Wir bekommen viel Resonanz und freuen uns, dass Menschen über den Podcast über Diskriminierung und Kirche ins Gespräch kommen.
Über meinen Instagram Account sind mehrere Verlage auf mich aufmerksam geworden. Im Sommer 2020 habe ich von drei Verlagen Anfragen bekommen, ob ich ein Buch über das Thema schreiben möchte. Ich habe mich dann für den Patmos Verlag entschieden. Dort ist das Buch „Wie ist Jesus weiss geworden - mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ veröffentlicht worden. Und die alle Kinder Bibel. Die ist vor allem auch daraus entstanden, dass ich mir als Mutter von 2 Kindern Gedanken gemacht habe, wie wir andere Bilder kreieren können. Vor allem wie wir die nächste Generation anders prägen können, als wir es wurden. Das sind Projekte, die aus dem Instagram Account entstanden sind. Was in dem Zusammenhang auch interessant ist, dass Instagram gar nicht nur im digitalen Raum bleibt, sondern auch in die analoge Arbeit einfliesst. Wir halten bei der VEM beispielsweise fest, wie viele Anfragen es zu Lesungen, Vorträgen und Workshops reinkommen. 95% der Anfragen, die mich als Bildungsreferentin erreichen, kommen über Instagram in die VEM. Die Menschen finden mich meistens über Instagram und das ist auch ein Gewinn für die VEM. Denn die Aufmerksamkeit wird so auch auf die Organisation gelenkt und nicht nur auf meine Person.
Es gibt ein Format, dass wir seit Sommer 2021 Montagsmorgens machen: Black & Breakfast. Wir treffen uns um 9 Uhr mit Kolleg*innen auf Instagram zum Kaffee trinken und besprechen aktuelle Themen. Ob das jetzt Recherchen des Correctiv Netzwerks, die deutschlandweiten Demos für Demokratie oder auch andere Themen sind. Wir sind miteinander als Menschen of Colour im Gespräch und teilen so unsere Perspektive auf Rassismus und Kirche und um Themen sichtbar zu machen. Ich bin jedes Mal erstaunt, dass sich jeden Montagmorgen 80 Menschen entscheiden, uns zuhören und mit uns einen Kaffee zu trinken. Außerdem gibt es auch noch viele Menschen die sich das Format im Nachklapp anschauen.
Viele Menschen sind zu den Veranstaltungen auf dem Kirchentag in Nürnberg gekommen, bei denen ich dabei war. Ich führe das unter anderem auf meinen Instagram Account zurück. Die Hörer*innen Zahl unseres Podcasts von Stachel und Herz haben sich seit dem Kirchentag in Nürnberg auch verzehntfacht. Ich kann sagen, dass ich in unterschiedliche Gremien und Netzwerke über Instagram gekommen bin und Menschen durch meinen Account auf mich aufmerksam geworden sind. So bin ich ins Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags gewählt worden und ich bin im Theologischen Ausschuss der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ich bin auch Teil des Ausschusses der Antirassismus Gruppe des Kammernetzwerks der EKD und es hat sich aus Social Media ein BPoC Netzwerk herauskristallisiert, wo sich Menschen die negativ durch Rassismus benachteiligt sind, innerhalb der EKD deutschlandweit und im deutschsprachigen Raum miteinander vernetzten. Ich habe mittlerweile an zwei Fernsehgottesdiensten aktiv mitgewirkt. Es hat sich vieles in anderen digitalen Kanälen, aber vor allem in der analogen Arbeit sehr verändert, was es ohne @moyo.me nicht geben würde.
Das ganze Thema hat natürlich unglaublich viele Herausforderungen. Diese Herausforderungen haben vor allem damit zu tun, dass es uns sehr schwer fällt, Rassismus von allen vier Seiten der Diskriminierung zu betrachten. Wenn wir über Diskriminierung sprechen, ist es wichtig, über die strukturelle, die historische, die individuelle und die institutionelle Seite zu reden. Bei Rassismus reden wir aber vor allem über die individuelle Seite - die strukturelle, die institutionelle und die historische Seite blenden wir aus. Rassismus ist in Deutschland moralisch hoch aufgeladen: Wir assoziieren damit Rechtsextremismus und die Nazis. Das ist wichtig, aber wir fühlen uns dadurch in Deutschland sehr schnell angegriffen. Weil natürlich niemand von uns - gerade im kirchlichen Raum und gerade Menschen die sich für Diskriminierung interessieren, auch aus ihrem Glauben und ihrem kirchlichen Engagement heraus - sich selber für rassistisch halten. Wenn dann der Vorwurf des Rassismus im Raum steht, wiegt der Vorwurf meistens schlimmer, als der Rassismus selber.
Wie sehr unsere Gesellschaft aber doch von Rassismus geprägt ist, hat Aladin El-Mafaalani gut in seinem Buch „Wozu Rassismus“ zusammengefasst: „Die Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft sind rassistisch geprägt. Denn alles, was die moderne Gesellschaft ausmacht, entstand in der Hochphase des Rassismus; also zur Zeit der Aufklärung und des Kolonialismus: Die Wissenschaft, die Globalisierung, der Kapitalismus, die Nationalstaaten und ihre Staatsbürgerschaften.“ Wenn wir Rassismus als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sehen, was eben eine strukturelle, historische, individuelle, institutionelle Ebene hat, dann haben wir die Möglichkeit Rassismus nochmal ganz anders zu sehen.
Social Media ist schnell, funktioniert kurzfristig, es gibt viel Streit- und Konfliktpotenzial, aber Social Media bietet auch eine große Chance, wenn die vier Seiten mitbetrachtet werden. Was aber in den meisten Fällen sehr schnell wirkt, sind Abwehrmechanismen. Die gibt es analog wie digital.
Derailing, also Umkehrstrategien, die ablenken:
Skandalisierung „Dass du da jetzt drauf hingewiesen hast, ist der Skandal“. Man redet über den Skandal aber nicht mehr über den Rassismus.
Verlagerung in die Vergangenheit und in den Rechtsextremismus. „Das ist wirklich schlimm, dass was wir hier machen ist nicht so ganz schlimmer Rassismus“ Das verhindert, dass man die Verstrickungen sieht. Beispielsweise wenn man über Fremdenfeindlichkeit spricht, aber nicht die weißen Österreicher*innen meint.
Kulturalisierung. Dass man Kultur als „quasi Rasse“ nimmt. Man spricht über kulturelle Unterschiede aber man nicht so richtig merkt, dass auch eine Hierarchisierung mitschwingt und dass der Begriff der „Rasse“ durch den Begriff „Kultur“ ersetzt wird. Damit will ich nicht sagen, dass es keine kulturellen Unterschiede gibt. Die gibt es. Aber die gibt es nicht so stringent und voneinander getrennt, wie es Rassenideologisch gemeint war. Wir sollten daher aufpassen, wie wir über kulturelle Unterschiede sprechen und denken.
Auf Social Media erreichen mich heftigste Hasskommentare, in denen mich Menschen beleidigen, in denen Menschen mir was vorwerfen. Die Kommentare gehen bis hin zu Drohungen gegen mich und meine Familie. Die Kommentare erreichen mich öffentlich, aber auch als Privatnachrichten. Auch von Menschen, die ich kenne. Die ihre Kommentare verpacken, was in Kirche sehr häufig passiert: „Ich habe Dich total gerne, aber das kann doch nicht dein Ernst sein“. Die Reaktionen passieren nicht nur auf Instagram, sondern auch auf anderen Kanälen. Ich bekomme auch Emails. Man kann ja meinen Namen googeln und findet meine VEM E-Mail Adresse. Menschen nehmen sich die Zeit und schreiben mir auch Briefe, die sie mir ins Büro senden. Sogar mit Zeitungsausschnitten als Beweismaterial, dass auch andere Menschen anderer Meinung sind als ich. Aber auch öffentlich. Nicht nur auf der Ebene „wir sind anderer Meinung“, sondern auch beleidigend in öffentlichen Medien. Es gab einmal einen Artikel in einer Tageszeitung, der führte dazu, dass ein Politiker mich auf X als „krankhafte Frau, die Kirche beschmutzen will“ bezeichnet hat.
Dieser Vorfall hat auch was Positives gehabt: Der Politiker hat viel Gegenwind bekommen und sich bei mir entschuldigt, mit der Begründung, „zu impulsiv gehandelt zu haben“. Denn das muss man auch sagen, es gibt viel Support in der Kirche und auch von Menschen außerhalb der Kirche - die überlegen, wieder in die Kirche einzutreten, um mehr Support zu geben. Ich finde es schön, dass Kirche in der Öffentlichkeit auch anders wahrgenommen wird. Im Verhältnis ist die positive Resonanz viel mehr als die, was ich als Hass abbekommen. Dazu muss ich aber sagen, es ist nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität, die einen trifft. Es ist schön und gut zu wissen, dass es Support und Unterstützung für mich gibt. So wie das öffentlich Statements, von Thorsten Latzel, dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der nach einem rassistischen Angriff bei einer Lesung in Leipzig, sich stark positioniert hat - auch digital. Es waren mehrere Bischöfe und Kirchliche Leitenden, die das geteilt haben.
Um mich herum gibt es ein Netzwerk bei der VEM. Mein Instagram Account ist privat, aber meine Arbeitgeberin weiß sehr wohl, was ich auf mich nehme. Sie will das und fördert das und tut viel, um mich zu schützen. Ohne all das, könnte ich auch mit dem Hass oft gar nicht umgehen. Zum Beispiel sind unsere Öffentlichkeitsarbeit und unsere Pressesprecherin immer über alles informiert. Beide folgen mir auf Instagram und kriegen da viel mit. Aber ich leite auch aktiv vieles an sie weiter. Unsere Pressesprecherin übernimmt auch stellenweise die die Kommunikation. Gerade wenn es aus Redaktionen viel Abwehr gibt übernimmt sie fast immer im Hintergrund die Kommunikation. Ich habe eine Assistentin, die meine E-Mails vorsortiert und den öffentlichen Posteingang übernimmt. So dass mich viele Hass Emails nicht erreichten, weil sie die schon wegsortiert, ohne dass ich sie lesen muss. Wenn Post ins Büro reinkommt, bei der die Absender nicht klar zu identifizieren sind, öffnet die Briefe meine Kollegin. Damit mich der Hass nicht direkt erreicht, sondern abgefedert wird. Ich kann bei Bedarf Supervision in Anspruch nehmen und muss das auch nichts besonders erklären. Aber was das allerwichtigste für mich ist, ist die volle Rückendeckung von der Leitung. Unser Generalsekretär und auch meine direkten Vorgesetzten stehen hinter mir und relativieren nichts. Sie wollen genauso so sehr wie ich, dass wir das zum Thema machen. Es kommen viele Reaktionen, auch bei der VEM rein. Auch an meine Vorgesetzte, nach dem Motto „Sie müssen ihre Mitarbeiterin zurückrufen“, oder „Wir spenden alle nicht mehr“ oder „Kümmern Sie sich um die wirklichen Probleme in der Welt“ und so weiter. Und auch da habe ich noch nie innerhalb der VEM Angst oder Relativierung erfahren.
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Menschen in der VEM, die in der Hierarchie über mir stehen, zum Großteil ebenfalls negativ durch Rassismus benachteiligt sind und wissen, was das in Deutschland bedeutet und was das Thema mit sich bringt, aber auch weiße Kolleg*innen in der Leitung sind darüber geschult und arbeiten bewusst in einer rassismuskritischen Organisation.
Es gibt viele Menschen aus dem BPOC Netzwerk, die schweigen. Die sich nicht trauen, Rassismus anzusprechen. Weil das teilweise auch nicht ihre Kernaufgabe in der Kirche ist. Eine weitere Erfahrung von vielen Menschen of Colour ist, dass sie mit sehr vielen Abwehrreaktionen konfrontiert werden und dann gar nicht mehr dazu kommen, ihre eigentliche Arbeit zu machen. Und es auch einfach emotional schwer belastend ist, Rassismus anzusprechen und mit den Reaktionen umzugehen. Deswegen rate ich, wenn es Rückmeldung gibt, sei es digital oder analog, sich vor Augen zu halten, wie viel Hürden die Menschen übersprungen haben, um sich Ihnen anzuvertrauen. Ich kann meine Arbeit nur so machen weil ich diesen Support im Rücken habe. Ich kann mich öffentlich äußern, weil ich ein ganzes Netzwerk in der VEM um mich herum habe. Ich muss nicht um meine Arbeitsstelle bangen, ich bekomme keinen Ärger, wenn ich was poste oder wenn ich ein Interview gebe.
Es ist ein Lernen. Fehler passieren. Auch mir passieren Fehler. Ich habe im Fernsehgottesdienst an Silvester vorletztes Jahr im Fürbitten Gebet gebetet, dass Gott uns in dunklen Zeiten zur Seite steht. Daraufhin gab es einen Leser*innen Brief an die ARD-Beauftragte, dass ich damit Rassismus reproduziert hätte. Kirchlich Sprache trägt bestimmte Bilder in sich. Ich bin davon nicht befreit, Rassismus selber zu reproduzieren. Natürlich ist das erstmal beschämend. Ich habe das vor einem Millionen Publikum gesagt und natürlich kann man auch wieder sagen, es ist übertrieben. Aber gerade ich sollte ja wissen, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Aber ich selber mache auch Fehler und weiß deshalb auch, dass Fehler passieren und dass sie nicht das Ende der Zeiten sind. Es ist ein Lernweg.
Naturalisierung: Verhaltensweisen, Persönlichkeiten, werden als vererbbar angesehen und nicht aufgrund ihrer Sozialisierung oder Lernprozessen. Manche Menschen werden näher an der Natur gesehen, sie gelten als unwissenschaftlich. Das merkt man, wenn man Afrika und Europa bei Google eingibt: Bei Afrika kommen viele Naturbilder und viele Menschen, die nicht sozialisiert sind in unserem Europäischen Sinne und bei Europa bekommen wir Bildung, Hochhäuser. Das steckt alles in unseren Köpfen und genauso reproduzieren wir auch im kirchlichen Bereich Rassismus und Stereotype.
Homogenisierung: Dabei kommt es nicht mehr auf das Individuum an; man wird einer Gruppe zugeordnet. Die Autorin Kübra Gümüsay hat mal gesagt: Wenn man als kopftragende Frau über eine rote Ampel geht, dann wird gesagt, dass „die Muslime“ sich nicht an die Regeln. Aber wenn ein weisßer Mann im Anzug über eine rote Ampel geht, dann hat er einen schlechten Tag, er hat es eilig. Es gibt einen Grund dafür. Wir würden nie auf die Idee kommen zu sagen, dass sich weiß Männer in Anzügen nicht an Regeln halten.
Polarisierung: Wir hier, die dort. Es gibt zwei Gruppen, die getrennt voneinander sind – wir hier, die anderen dort. Es gibt keine hybriden Existenzen von Menschen. Im Januar 2022 erschien in einer kirchlichen Zeitung ein Beitrag von mir: Der Titel der Ausgabe „Das Fremde und wir“ mit einem gephotoshopten Bild mit Schwarzen und einer weißen Hand. Uns ist direkt klar, was das Fremde ist. Das Fremde ist die Schwarze Hand an dem alten Koffer, die vermutlich zu uns geflüchtet ist.
Ein anderes Beispiel ist ein Titel von einer kirchlichen Zeitschrift, die „Korruption und Transparenz“ thematisiert und ein Titelbild mit einer schwarzen Hand mit Geldscheinen verwendet: Welche Hand ist korrupt, es ist die schwarze Hand mit dreckigen Geld, eine ärmliche Hand. Dass Korruption in Millionenhöhe vor allem durch Menschen wie z.B. Uli Hoehneß stattfindet das wird hier ausgeblendet.
Hierarchisierung: Die passiert häufig im kirchlichen Raum. Denn wir kümmern uns. Wir sorgen uns. Aber dass durch auch eine Hierarchisierung entsteht, ist ganz schwer anzusprechen. Denn damit stellen wir uns über die Menschen, um die wir uns kümmern. Natürlich ist es auch gut, für Gerechtigkeit zu sorgen. Aber vielleicht schaffen wir das auch auf Augenhöhe.
Unsichtbarmachung von Menschen auf Colour: Im Februar ist jedes Jahr „Black History Month“ um die Geschichte Schwarzer Menschen sichtbar zu machen, die absichtlich über Jahrhunderte verschleiert und ausgelöscht wurde. Und auch das passiert immer noch und auch in der Kirche. Auf ökumenischen Reisen werden zahlreiche Bilder gemacht und veröffentlicht von Menschen of Color, die in Veröffentlichungen wenn überhaupt einen Vornamen, aber im Gegensatz zu weißen Menschen selten einen Nachnamen oder andere Titel zu haben scheinen.
Zuhören: Menschen of Colour können einen Perspektiv-Wechsel ermöglichen, damit die Kirche unserer multidiverse Migrationsgesellschaft noch erreicht, anspricht und nicht verschreckt. Unbedingt intensive Antirassismustrainings, die mindestens zwei bis drei Tage gehen, um wirklich die eigene rassistische Sozialisation in der Tiefe zu verstehen. Denn es braucht mehr als eine Nettiquette. Es braucht ein tieferes Verständnis und eine persönliche Reflektion. Erst danach macht aus meiner Sicht eine fachliche Beratung Sinn, weil sonst immer wieder die Abwehrmechanismen ad hoc hochkommen und vieles nicht objektiv betrachtet werden kann.
Kommunikationsteams, die in das Thema einsteigen oder weiterarbeiten wollen, finden hier einen Sammlung möglicher Fragestellungen zur praxisorientieren Reflektion
Wir freuen uns über Rückmeldungen zur Prozessgestaltung, Fragestellungen die Sie bearbeiten und Beispiele aus Ihrem Kommunikationsalltag. Im Sinne von Learning out Loud sind wir auf der Suche nach Vernetzung, Weiterentwicklung und Lernpartner*innen in der Sache!
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