Bilder und Geschichten kritisch betrachten

Wissen über Wirkweisen von Rassismus ist eine entscheidende Kompetenz für Kommunikationsteams: In jeder Organisation und vor allem in einer Evangelischen Kirche, die sich klar und deutlich für Vielfalt ausspricht.

Rassismuskritische Öffentlichkeitsarbeit geht weit über eine diskriminierungssensible Bildredaktion hinaus - Bilder sind jedoch ein Aspekt. Denn Bilder schaffen Realität. Sie rahmen die Geschichten, die eine Organisation in ihren Öffentlichkeiten erzählt. Diese Geschichten schließen ein oder sie schließen aus. Sie stehen symbolhaft für ein „wir“, sie repräsentieren, wer „zu uns“ gehört und zeigen implizit, wer nicht. Der Kommunikation kommt dabei eine herausragende Rolle zu. Denn sie ist der Ort in einer Organisation, an dem die Verantwortung für die Auswahl und Aufbereitung von Geschichten liegt.

In einer Organisation, die von Gemeinschaft, Gleichheit und Glaube erzählt, kommt diese Verantwortung besonders zum Tragen. Deshalb ist die Kommunikation in kirchlichen Organisationen in besonderen Maße gefragt. Dennoch muss angemerkt werden, dass mit Blick auf Social Media die Kommunikationsteams nicht die einzigen Akteur*innen sind, die für eine Organisation kommunizieren. Gerade in dezentralen Großorganisationen wie der Evangelischen Kirche sind es häufig auch einzelne Personen, die auf Social Media Plattformen erfolgreich Themen für die Organisation kommunizieren. 

Dieser Beitrag bezieht sich auf die strukturell verankerte Kommunikation. Sie verdichtet mit ihrer Arbeit das Selbstverständnis der Organisation. Dabei muss sie die relevanten Akteur*innen im dezentralen Kommunikationssystem im Blick behalten und unter dem Dach der Kommunikationsarbeit für die Gesamtorganisation integrieren. Hier wird entlang der strategischen Ausrichtung der Organisation entschieden, wie sich die evangelisch Kirche beispielsweise kommunikativ zu Hasskommentaren gegenüber einem Pfarrer, der auf dem Kirchentag gepredigt hat, verhält oder ob und wie sich Kirche kommunikativ zu rassistischen Anschlägen und deren Jahrestagen positioniert. 

"Christlicher Glaube und völkisches Denken passen nicht zusammen. Als Kirchen werden und dürfen wir nicht schweigen, heute nicht und morgen auch nicht."

Kirsten Fehrs
EKD-Ratsvorsitzende

Die Kommunikation einer Organisation mit ihren Öffentlichkeiten ist strategisch ausgerichtet. In der Fachliteratur gibt es verschiedene Modelle, die auf fünf grundlegende Handlungsfelder der Kommunikationsarbeit zurücklaufen: Analyse, Zielsetzung, Strategie, Umsetzung und Evaluation. Die grundlegende Basis für jede Kommunikation ist die Strategie der Organisation. In der Praxis werden strategische Unklarheiten durch operative Leitplanken ergänzt. Das sind beispielsweise explizit getätigte Aussagen der obersten Führungskräfte, Thesenbildung mit implizit vorhandenen Annahmen und Verteilung von Haushaltsmitteln als Seismograph strategischer Entscheidung. Wie in allen Organisationen wird die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit durch festgelegte Ressourcen begrenzt. Keine Organisation verfügt über ein unbegrenztes Kommunikationsbudget. Es ist also eine strategische Entscheidung der Organisation, mit welchen finanziellen Mitteln sie ihre Kommunikationseinheit (auch im Verhältnis zu anderen Einheiten) austattet.

Zentrale Aufgabenstellung bei der Ausarbeitung der Kommunikationsstrategie ist die Definition der Öffentlichkeiten. Organisationen haben mindestens zwei Öffentlichkeiten, eine interne und die externe. Öffentlichkeiten werden in der Kommunikation feiner segmentiert und entsprechend Zielgruppen gebildet.  Denn Inhalt (= Content = Geschichten = Stories) muss von der jeweiligen Zielgruppe als relevant wahrgenommen werden, damit er konsumiert wird. Das bleibt herausfordernd, weil die Diversifizierung der digitalen Räume und Plattfomen stetig steigt. Kanalauswahl und Ansprache sind entscheidende Erfolgsfaktoren einer Konzeption. In Deutschland sind 93% der Gesamtbevölkerung online und 85% ist auf Social Media aktiv. Egal welche Zielgruppe adressiert wird, digitale Medien bilden zentrale Bausteine. Kanalunabhängig kann die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen als Ergebnis von Entscheidungsprozessen entlang der Konzeptionsentwicklung betrachtet werden. Das Titelbild, der Social Media Post, der Pressetext sind gewissermaßen materialisierte Entscheidung, die sich in Bildern und Geschichten der Organisation ausdrücken.

Es ist kein Geheimnis: kirchliche Gremien und Ausschüsse sind sehr häufig weitgehend homogen besetzt – die Kirchengemeinderäte, Synoden, Steuerungsgruppen, Beiräte und unsere Haupt- und Ehrenamtlichen sind mit den Personen besetzt, die sich in den vorhandenen Strukturen und Prozessen entwickeln konnten und im System entweder berufen oder gewählt wurden. Die Kommunikation ändert daran nichts, hat jedoch in ihrer Berichterstattung die Möglichkeit, im Rahmen der redaktionellen Themensetzung ein diverseres Bild der Organisation zu gestalten. In dem sie Geschichten sichtbar macht, die in der (bisherigen) redaktionellen Logik noch nicht repräsentiert sind, um so auch abseits der homogenen Bilder und Geschichten von einem "wir" zu berichten. Dabei muss die Frage gestellt werden, in welchen Kontexten People of Colour (POC) sichtbar sind – im Bezug auf internationale Gemeinden oder als integrierter Teil des kirchlichen Alltagslebens? Auch bei der Definition und Ausgestaltung der Zielgruppen stellt sich die Frage, in wiefern Diversität eine Rolle spielt oder künftig spielen darf.

"Christlicher Glaube lässt für Rechtsextremismus und Rassismus, für Antisemitismus und Ausgrenzung keinen Platz!"

Kristina Kühnbaum-Schmidt
Landesbischöfin Nordkirche

Rassismuskritische Öffentlichkeitsarbeit nimmt auch das in den Blick, was auf Bildern nicht sichtbar wird. Die Fragestellung einer rassismuskritischen Öffentlichkeitsarbeit geht über die Frage, wer auf den Bildern zu sehen ist hinaus. Sie fragt: Wer wählt die Bilder aus? Rassismus ist ein grundlegendes Strukturierungsmerkmal unserer Gesellschaft, das mit Macht und Privilegien verbunden ist. Das wird auch in kirchlichen Strukturen sichtbar. Ähnlich wie die Gremien unserer Kirche, sind sehr wahrscheinlich die Kommunikationsteams in den Landeskirchen, Kirchenkreisen sowie Diensten und Werken überwiegend homogen besetzt. Für die Kommunikation bedeutet das eine Einschränkung der Perspektiven auf Bilder und Geschichten, denn homogene Teams arbeiten sehr wahrscheinlich mit homogenen Zielgruppen und produzieren homogenen Content. 

28,7% der Bevölkerung in Deutschland hatte 2022 einen Migrationshintergrund. Davon sind ungefähr die Hälfte Ausländer*innen (48,8%) und die Hälfte Deutsche (51,2%).Mehr als die Hälfte der Deutschen mit Migrationshintergrund besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft seit Geburt (54%). Der Blick in die Statistik offenbart, warum die Frage nach „Woher kommst Du?“ von Menschen als diskriminierend wahrgenommen werden kann: „Ich komme aus Deutschland“. Nicht alle Deutschen sind "weiß". Deutsch Sein hat vielfältige Gesichter. Es gibt seit Jahrzehnten Deutsche ohne Migrationshintergrund, die POC sind. Nicht alle Ausländer*innen in Deutschland sind POC. Bilder, die von Menschen mit Migrationshintergrund existieren, folgen häufig einem stereotypen Muster. Die Realität ist deutlich komplexer. Deshalb braucht es eine aktive Auseinandersetzung, wie diese Komplexität in die Bilder der  kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit einfließen. Darüber hinaus braucht es einen Diskurs, in welchen Strukturen und mit welchen Teams eine Auseinandersetzung erfolgt. 

Für die Führungskräfte stellt sich die Frage, ob und wie das Team diverser aufgestellt werden kann. Da die Kommunikationseinheiten nicht losgelöst von der Organisation agieren, stellt sich für die gesamtkirchliche Führung die Frage, welche Mitarbeiter*innen künftig für kirchliche Strukturen ausgewählt werden und wie sie sich in ihrem Arbeitsumfeld sicher fühlen können? An dieser Stelle geht es nicht nur um die Gestaltung von diskriminierungssensiblen Rekrutierungs- und Onboardingprozesse, sondern ganz konkret auch um Ressourcenbereitstellung für Safer Spaces, Vernetzung und Empowerment für Mitarbeitende mit diversen Hintergründen in den Gesamtstrukturen. Das sind umfangreiche Fragestellungen, die auf verschiedenen Organisationsebenen geklärt werden müssen. 

Vor dem Hintergrund der gesamtorganisatorischen Fragestellungen erzeugt Wissen über Wirkweisen von Rassismus einen hohen Wirkungsgrad. Da sie die strategische Kommunikationskonzeption umsetzt und gleichzeitig ist sie die Schnittstelle zu den Öffentlichkeiten in den ausgewählten Kanälen der Organisation. An diesen Schnittstellen geht die Organisation durch die Kommunikation in Resonanz. Um in diesem Resonanzraum ein komplexes Thema wie Rassismus wahrzunehmen und agieren zu können, muss eine Auseinandersetzung mit den Dimensionen des Themas vorausgegangen sein, um sprach- und handlungsfähig den Kommunikationsraum gestalten zu könnnen

Erfahrungsaustausch

Kommunikationsteams, die in das Thema einsteigen oder weiterarbeiten wollen, finden hier einen Sammlung möglicher Fragestellungen zur praxisorientieren Reflektion 

Wir freuen uns über Rückmeldungen zur Prozessgestaltung, Fragestellungen die Sie bearbeiten und Beispiele aus Ihrem Kommunikationsalltag. Im Sinne von Learning out Loud sind wir auf der Suche nach Vernetzung, Weiterentwicklung und Lernpartner*innen in der Sache! 

Das Team der Evanglischen Medienakademie erreichen Sie hier.

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