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Wikipedia ist mehr als 2,6 Millionen Artikel

Wissen zu teilen ist sozial – und so einfach wie noch nie

Pastor Jens D. Haverland trägt seit gut 15 Jahren dazu bei, Wissen zu verbreiten – als Wikipedianer. „Wikipedia ist eine Möglichkeit, über Transparenz und Teilhabe Empathie zu wecken“, sagt er. In diesem Interview gibt er praktische Tipps, wie jede*r selbst auf Wikipedia aktiv werden kann und so sein/ihr Wissen der ganzen Welt zur Verfügung stellen kann.

Jens, wie bist du Wikipedianer geworden?

Das kam schrittweise. Wie die meisten habe ich Wikipedia anfangs nur als Konsument genutzt, für Recherchen während des Studiums. Irgendwann habe ich dann die Diskussionsseiten entdeckt. Nach und nach habe ich damit begonnen, mein Wissen, das ich mir im Rahmen von Hausarbeiten erarbeitet hatte, zu teilen – erst kleine Aspekte, später dann auch grössere Abschnitte.

Wann und wie hast du damit begonnen, selbst Artikel zu schreiben?

Auf meiner ersten Pfarrstelle war ich in einer pommerschen Landgemeinde tätig. In Wikipedia gab es damals manches über die Region, in der ich lebte – vor allem: eine Liste sämtlicher evangelischen Kirchen in Pommern! Ich habe angefangen, die bestehenden Informationen zu erweitern, mit Text und Bildern, zum Beispiel zur Baugeschichte einzelner Kirchen – was man als Gemeindepastor über die Geschichte eben so mitbekommt. 
Den letzten Anstoss gab dann Corona: Als Pastor bei der Ökumenischen Arbeitsstelle im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf ist die entwicklungspolitische Bildungsarbeit eine meiner wichtigsten Aufgaben. Während des Lockdowns mussten wir natürlich auf Treffen und Besuche verzichten. Um meine Arbeit trotzdem weiterzuführen, habe ich begonnen, mein Wissen zu bestimmten Themen über Wikipedia zu teilen. Ich schrieb in dieser Zeit mehrere Artikel, zum Beispiel über die Kenianische Evangelisch-Lutherische Kirche oder das Lieferkettengesetz – letzteres ist ja im Moment sehr aktuell, und die Seite hat derzeit rund tausend Aufrufe pro Tag. 

Du wirst für diese Arbeit weder bezahlt noch bekannt - die Wikipedianer veröffentlichen ja unter einem Usernamen, nicht unter ihrem richtigen Namen. Was treibt dich also an?

Wikipedia ist eine Möglichkeit, über Transparenz und Teilhabe Empathie zu wecken. Zum Beispiel weiss vielleicht jemand nur wenig über die Kirche oder ein bestimmtes kirchliches Thema – traut sich aber nicht, uns zu fragen. Wikipedia ermöglicht es, dass diese Person trotzdem Antworten auf ihre Fragen bekommt.

Es stimmt, Wikipedia ist keine Plattform zur Selbstdarstellung. Wer hier mitarbeitet, stellt Wissen selbstlos zur Verfügung. Dabei ist Wikipedia in zweifacher Hinsicht sozial – einerseits als Informationsquelle auch für Menschen, die sich keine Bücher leisten können; und als echtes «social medium»: Uns Wikipedianer verbindet das gemeinsame Interesse, Wissen zur Verfügung zu stellen, und hier tauschen wir uns darüber aus.

Kann denn wirklich jede*r zu Wikipedia beitragen?

Ja – alle, die ihr Wissen zu einem bestimmten Thema zur Verfügung stellen möchten! Das kann eine Einzelperson sein, oder eine Gruppe. Wenn jemand zum Beispiel viel über seine Kirche oder sein Dorf weiss, kann er/sie dieses Wissen der ganzen Welt über Wikipedia zugänglich machen!

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Jens D. Haverland

Pastor

Jens D. Haverland ist in Angeln bei Flensburg aufgewachsen und bezeichnet sich selbst als „echtes Kind der Nordkirche“. Er ist Pastor der Ökumenischen Arbeitsstelle im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf. Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Themen Menschenrechte und Klima und die entwicklungspolitische Arbeit. Zudem ist er Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Schleswig-Holstein (ACK-SH) und Vorsitzender des Missionskonventes im Bereich der Nordkirche.

https://www.kkrm.de

Wie kann man denn mitmachen?

#EinfachMalMachen :-) Nein, im Ernst – im Grunde muss man sich nur anmelden und kann schon loslegen. Das muss auch nicht gleich ein ganzer Artikel sein - auch ganz kleine Schritte sind schon ein wichtiger Beitrag. Allein auf der deutschsprachigen Wikipedia gibt es zwar über 2,6 Millionen Artikel, aber auch noch viele offene Fragen, auch im Themenbereich der Nordkirche.

Wikipedia ist mehr

  • Wikipedia ist mehr als man auf den ersten Blick sieht!
  • Wikipedia ist mehr als Artikel – sie umfasst auch Millionen von Bildern, Videos und Tabellen.
  • Wikipedia sind Menschen!
  • Wikipedia ist das, was du daraus machst!

Hast du ein paar Beispiele, wie man anfangen könnte, sozusagen «low hanging fruits»?

Natürlich. Man muss nur daran denken, dass Wikipedia viel mehr ist als «nur» Artikel!

  • Als Wikimedia Commons ist Wikipedia auch eine riesige Bilddatenbank mit 80 Millionen frei verfügbaren Bildern und Videos (das ist übrigens sehr praktisch für Vorträge!). Hier kann man eigene Bilder einstellen, zum Beispiel von Orten, die man im Urlaub besucht hat, oder von der eigenen Kirche oder dem eigenen Dorf.
  • Man kann bei den monatlichen Bilder-Wettbewerben mitmachen. Ganz spannend finde ich zum Beispiel Wiki loves Monuments im September. Warum nicht mit Konfirmanden eine „Bildertour“ in der eigenen Kirche veranstalten, und die schönsten Bilder, natürlich in Absprache mit dem oder der Fotograf*in, hochladen?
  • Man kann auch bestehende Artikel ergänzen. Wenn etwa das eigene Dorf in Wikipedia steht, kann man diesen Artikel mit Informationen und/oder Bildern der Kirche ergänzen. Und wenn die Kirche bereits einen Eintrag in Wikipedia hat, kann man diesen erweitern, zum Beispiel wenn man etwas Besonderes über die Glocken weiß.

Erfolgskriterien

  • Nütze Wikipedia als Netzwerk – nicht nur passiv, sondern mach aktiv mit!
  • Es gibt nur eine einzige Voraussetzung, um mitzumachen: Du musst dein Wissen gerne mit anderen teilen wollen!
  • Du musst nicht gleich einen ganzen Artikel schreiben. Auch Ergänzungen und WikiCommons (Medien) sind wertvolle Beiträge!

Was ist, wenn ich nicht selbst schreiben kann, oder selbst nicht genügend Wissen habe, um einen Artikel zu schreiben, der mir aber wichtig wäre?

Aktiviere das Wikipedia-Netzwerk! Du kannst zum Beispiel einen Experten oder eine Expertin  bitten, diesen Artikel zu schreiben. Oder du organisierst ein GLAM: Dabei kommen ehrenamtliche, freiwillige Wikipedia-Autor*innen digital und vor Ort zusammen, um ein Thema zu bearbeiten. Das hat zum Beispiel Seemannspastor Matthias Ristau gemacht – bei seinem Projekt «Wikipedia:Ahoi» kamen über 50 Artikel und unzählige Bilder zu den Themen Seefahrt und Seefahrer*innen zusammen, und mittlerweile ist sogar ein Buch daraus entstanden.

Und wer macht das?

Bei Wikipedia gibt es kein oberstes «Kontrollgremium», sondern die Community sorgt selbst für die Kontrolle: Erfahrene Wikipedianer prüfen, ob ein neuer Artikel relevant ist und im Sinne der Richtlinien von Wikipedia geschrieben wurde, insbesondere was Zitierregeln, Quellenangaben und andere formale Vorgaben betrifft. Und auch die Einhaltung der „Wikiquette“ wird geprüft.

Je mehr ein*e Autor*in veröffentlicht, umso mehr Vertrauen geniesst er oder sie in der Wikipedia-Community. Dann werden z.B. irgendwann Beiträge automatisch freigeschaltet, und man bekommt sogar Wahlrecht bei der Wikimedia Foundation, dem Verein, der hinter Wikipedia steht.
 

Du sagst «Wikipedia ist mehr» - was meinst du damit? Gibt es neben den WikiCommons noch mehr «versteckte Werte»?

Und ob! 

  • Die Diskussionsseiten habe ich ja bereits am Anfang erwähnt – sie sind der zweite Reiter neben dem „Artikel“. Hier kann man Verbesserungen oder Ergänzungen vorschlagen, ohne gleich den Artikel selbst zu verändern.
  • Einer meiner Favoriten sind die Themenportale, eine wahre Fundgrube! Man findet sie über die linke Navigation. Sie sind auch hilfreich, wenn man zu einem Thema gerne selbst etwas beitragen möchte, aber noch nicht genau weiß, was – hier bekommt man ganz viel Inspiration!
  • Sehr interessant sind auch die „Kategorien“, ganz unten auf der Seite. Sie ermöglichen, mit wenigen Klicks weiterführende Informationen zu bestimmten Bereichen zu finden. 

 

Wie wird eigentlich dafür gesorgt, dass die Informationen auf Wikipedia verlässlich sind?

Über bestimmte Mechanismen wird verhindert, dass falsche Informationen, sogenannte Trolls, veröffentlicht werden; das können Scherze oder Werbung sein, aber auch «alternative Wahrheiten» und Fake News. Besonders Informationen zu lebenden Personen werden 
sehr kritisch angeschaut.


Lieber Jens, herzlichen Dank für das Gespräch!

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