Vom Dauerbrenner zum Diskurs
Migration, Schulden, Krieg und Frieden: Einzelne Themen setzen sich im öffentlichen Diskurs fest – politisch, gesellschaftlich und medial. Warum ist so ist und was bedeutet diese Entwicklung für ...
Beitrag lesen#neugierigbleiben – mit dem Format „Stichwort“ schaut der Wissensblog ein Thema aus der Perspektive der Kommunikation und ihrer Akteur*innen genauer an. In diesem Beitrag befasst sich unsere Autorin Ines Langhorst mit dem Stichwort "Rechtsextremismus".
Für Medienschaffende ist es wesentlich, sich mit dem Thema Rechtsextremismus auszukennen. Sie haben eine zentrale Rolle bei der Aufklärung und Einordnung des gesellschaftlichen Phänomens. Gleichzeitig müssen Journalist*innen ihrer Chronistenpflicht nachkommen. Ein Balanceakt, um rechtsextreme Positionen nicht zu normalisieren.
Rechtsextreme Akteure setzen in ihrer medialen Strategie auf Desinformation und Manipulation. Dabei versuchen sie, unabhängige Berichterstattung zu diskreditieren und einzuschränken. Eine umfängliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist für alle Medienschaffenden notwendig – um am Ende die Pressefreiheit und die Demokratie zu schützen.
Das Vertrauen der Menschen in Deutschland in die Demokratie an sich nimmt ab, belegen Studien bereits seit einigen Jahren. Armut, Einsamkeit, soziale Ungleichheit sowie allgemeine Unzufriedenheit sind die Grundlage, auf der Populist*innen mit vermeintlich einfachen Lösungen und Antworten Menschen für sich gewinnen.
Ihre Kommunikation ist geprägt von einer Dramatisierung der Lage insgesamt und einem Herausarbeiten von Gegensätzen zwischen „den einfachen Leuten“ und „denen da oben“. Auch wenn radikale politische Haltungen in der pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren Platz haben, unterscheiden sie sich deutlich vom politischen Extremismus, der den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie beseitigen will. Was gefährdet die Demokratie? Mehr dazu im FAQ Nordkirche stärkt Demokratie S. 10
„Es gibt messbare diskursive Verschiebungen, die sich in Wahlergebnissen niederschlagen“, sagte Andreas Speit, Journalist und Autor, während des 12. Forums Kirche und Rechtsextremismus im Norden. Die mediale Debatte hingegen bilde beispielsweise rechte Gewalt nicht ab.
In einem Impulsvortrag „Die Spuren rechter Gewalt in Norddeutschland von 1949 bis heute“ nahm Speit den Rechtsextremismus aus verschiedenen Perspektiven in den Blick. Erst seit wenigen Jahren werde rechtsextreme Gewalt erfasst. Dabei gäbe es eine große Diskrepanz. Nach 1990 seien 210 Menschen in Deutschland nachweislich durch Rechtsextreme ermordet worden. Die offizielle Statistik spreche von 100.
Die Zahl der politisch motivierten Straftaten (PMK) ist im Jahr 2024 um 40,22 Prozent auf 84.172 Delikte angestiegen. Das ist der höchste Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten ist ebenfalls um 15,33 Prozent auf 4.107 Delikte angestiegen. Pressemitteilung
Mit 42.788 Delikten wurden gut die Hälfte aller PMK-Straftaten 2024 im Phänomenbereich PMK-rechts registriert, was einem Anstieg von knapp 48 Prozent entspricht. Auch die Gewaltstraftaten sind um gut 17 Prozent auf 1.488 Delikte gestiegen. Politisch motivierte Kriminalität: Bundesweite Fallzahlen 2024
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) hat für 2024 in zwölf von 16 Bundesländern insgesamt 3.453 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. Täglichwerden durchschnittlich zwölf Menschen Opfer rechts, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt. Mehr als die Hälfte aller Angriffe ist rassistisch motiviert. "Besonders alarmierend ist der Anstieg von Angriffen auf sog. politische Gegner*innen um mehr als 2/3 im Vergleich zum Vorjahr. Mehr zum Jahresbericht 2024.
Rechtsextremismus sei nicht vergleichbar mit Linksextremismus, so Speit. Rechter Terror zeichne sich dadurch aus, dass die Tat die Botschaft ist. Einzeltäter gibt es nicht. Eine Person könne zwar „schießen", sie wäre aber in einer Hate-Community eingebettet. Diese Menschen sind so im Hass gegen „den großen Austausch“ sozialisiert.
Rechtsextremer Terror ist international. Taten wie die des Massenmörders Anders Breivik wirken, weit über die Grenzen Norwegens hinaus, in die rechtsextreme Szene hinein.
„Das Narrativ des rechten Terrors ist nicht im kollektiven Bewusstsein“, sagte Andreas Speit.
Das Feld ist viel größer: Rechtsextremisten können parlamentarisch orientiert sein und versuchen, über Parteien Einfluss auf die Politik zu nehmen. Über Musik, Szene-Kleidung und ein bestimmtes Auftreten hat sich eine Subkultur entwickelt, die auf einem breiten Ideologiehintergrund fußt. Dieser ist geprägt von rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Einstellungen. Rechtsextreme Sozialisierung und Heldenverehrung erfolgt im digitalen Raum nicht nur über die sozialen Netzwerke, sondern auch über das Ökosystem Gaming. Es zeichnet sich durch hochwertige Hardware, umfassende Spiele-Software, eine komplexe Community-Struktur mit eigener Kultur sowie der Gestaltung des Gaming-Erlebnisses, aus.
Mit eigenen Verlagen, Medien und Netzwerken arbeitet die intellektuelle Rechte daran, rechtsextreme Ideologien zu verbreiten.
Der Weg der Radikalisierung und rechtsextrmene Terrors verläuft nicht immer gleich. Im Vergleich hat Andreas Speit Typen rechtsextremer Terroristen erkannt und skizziert.
Rechtsextreme Gewalt ist also ein Thema, das medial und gesellschaftlich unter dem Radar läuft. Das Thema braucht Wissen, Raum und Aufarbeitung. Wie das geht, zeigen zwei Beispiele aus Hamburg.
Die Wanderausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ setzt dem etwas entgegen. Sie spannt einen Bogen rechtsextremer Gewalttaten und setzt die steigenden Gewalttaten von rechts in eine Kontinuität. Alyn Beßmann-ŠišićundLennart Onken (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) haben die Ausstellung in Zusammenarbeit Andreas Speit kuratiert. Sie wurde erstmals im Januar 2024 in Hamburg gezeigt und erfährt seitdem große Aufmerksamkeit.
Das Infoportal zu rechter Gewalt in Hamburg nimmt die Inhalte der Ausstellung auf und übersetzt diese digital. Sie sortiert Taten, Reaktionen und Gegenwehr auf einer Karte und in einer filterbaren Chronik. Das Glossar erklärt Begriffe kompakt. Die Seite wird fortlaufend ergänzt und bietet eine aktuelle Quelle zum Thema. Weitere Informationen.