Wolfgang Stahr

Hoffnung im Blick mit Hadija Haruna-Oelker

Warum fehlt es an Teilhabe und Teilgabe für behinderte Menschen? Wie treten wir dem Erstarken sozialdarwinistischer Vorstellungen in unserer Gesellschaft entgegen? In dem 2024 erschienenen Buch „Zusammen Sein – Plädoyer für eine Gesellschaft der Gegenseitigkeit“ spürt die preisgekrönte Journalistin und Autorin Hadija Haruna-Oelker diesen Fragen nach und plädiert für eine Gesellschaft der Gegenseitigkeit.

2022 ist Dein Buch „Die Schönheit der Differenz“ und dann 2024 "Zusammensein" erschienen. Wie kam es zu diesen Büchern?

"Zusammensein" ist quasi die Fortsetzung von "Die Schönheit der Differenz". In der Schönheit ging es mir darum, mein eigenes Verständnis von unseren Unterschieden im Menschsein darzulegen. Ich gehe darin mit den Lesenden auf eine Reise: Von mir selbst, meinen biografischen Merkmalen und meiner Positionierung in der Gesellschaft ausgehend analysiere ich gepaart, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Bereich der Rassismus Forschung, der Diversitäts- und Genderforschung oder den Disability Studies unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhägen. Dabei mache ich auch eine mediale Diskursanalyse, weil ich als Journalistin viele Debatten begleitet habe.

Es geht mir im Buch um ein verständlich machen des Begriffs der Internationalität.  Also darum, Menschen in ihren unterschiedlichen, sich überschneidenden Erfahrungen zu begreifen und gleichzeitig das, was wir uns unter gesellschaftlichen Gruppen vorstellen, als eine Konstruktion zu hinterfragen.  Und so geht es in "Die Schönheit der Differenz" eben auch um die Auseinandersetzung und die Erfahrung als Verbündete von Menschen, die Erfahrungen mache, die ich nicht erlebe. Was mich schlussendlich im letzten Kapitel zum Thema Behinderung führt. Und in diesem Kapitel schließt dich quasi der Kreis zu mir selbst, da ich die Schwarze nichtbehinderte Mutter eines behinderten Kindes of colour bin. "Zusammensein" ist quasi in Auseinandersetzung mit der Frage entstanden, wie ich mein Kind als verbündete Mutter begleiten kann in einer Gesellschaft, die Behinderung in großen Teilen ablehnt: Stichwort Ableismus.

Die Idee kam mir, als ich einen Monat nach dem Erscheinen von "Die Schönheit der Differenz" im Mai 2022 mit meinem Kind in einem so genannten Turnurlaub, also in einer Reha auf der Wiese saß und dachte, warum kennen so viele Menschen all die parallelen Welten und die getrennten und segregierenden Systeme in Deutschland nicht, in denen sich behinderte und nicht behinderte Menschen befinden. Warum kann ignoriert werden, dass das ein strukturelles und ein politisch gemachtes Problem ist? Eines, das auf einem geschichtlichen Erbe basiert und damit einer nicht gut aufgearbeiteten, nationalsozialistischen Vergangenheit, der die Geschichte der Eugenik vorausging. Das alles ist hochaktuell, wenn wir auf die Frage von Nützlichkeit im aktuellen politischen Diskurs sprechen, also von Sozialdarwinismus. All das sind Gründe, warum, "Zusammensein" entstanden ist.

Was macht Dir bei Deiner Arbeit als Journalistin Hoffnung?

Es ist gerade gar nicht so einfach diese Frage zu beantworten. Weil der Journalismus einerseits mein Rüstzeug ist, das mir dabei hilft, mich komplexen, emotional schwierigen Umständen zu stellen - analytisch und hintergründig Fragen und einem offenen Blick oder Wahrnehmung zu stellen. Weshalb ich wohl auch Journalistin geworden bin, weil ich einfach gerne Fragen stelle und die Möglichkeit mag, mehr über die Leben von Menschen zu erfahren und zu erzählen.

Hoffnung macht mir also dahingehend ein Journalismus, der Dinge aufdeckt oder Unerzähltes wahrnehmbar macht. Ich finde die investigative Arbeit von Recherchekollektiven, gerade im Bereich des gesellschaftlichen Zusammenhalts, dem Hintergrund von Machtverhältnissen und Ungerechtigkeiten, aber auch die Verschränkung zu Wirtschaftsinteressen gerade sehr, sehr, sehr wichtig. Es gibt viele Kolleginnen, die unglaublich tolle Arbeit leisten und gleichzeitig steckt der Journalismus auch in der Krise, weil er mit populistischen Strömungen, falschen Fakten aber auch mit Lügen umgehen muss. Es gilt neue Methoden zu entwickeln oder bereits bestehende Ideen wie einen konstruktiven oder einen verantwortungsbewussten Journalismus breiter zu etablieren und zu vermitteln. Und das für ein breites Publikum im Alltag sich überschlagener Ereignisse und schneller Schlagzeilen aufzubereiten ist eine Herausforderung. Hoffnung machen mir also diejenigen Journalistinnen, die gerade nicht müde werden und versuchen, ihr Wissen und Handwerk so konstruktiv und ehrlich umzusetzen, wie es unter den Umständen jetzt eben geht.

Worauf hoffst Du in den nächsten Monaten?

Das ist eine große Frage. Ich weiß es nicht. Und ich glaube nicht, dass sich das, was ich mir im tiefsten Herzen wünsche, in den nächsten Monaten klären lässt. Die Frage ist auch, worauf bezieht sich die Hoffnung? Auf Deutschland, die Welt und ihre Abhängigkeiten?

Wenn ich auf Deutschland blicke, dann hoffe ich, dass sich bestimmte menschenabwertendes Politiken nicht durchsetzen und das mehr Menschen realisieren, wie ernst die politische Lage für alle ist. Dass sie sich wirklich damit auseinandersetzen, welchen Wert Demokratie eigentlich konkret hat und nicht glauben, nicht betroffen zu sein, wenn Menschenrechte diskreditiert werden oder entsprechende Gesetze ausgehebelt werden. Ich hoffe also, dass sich ein Gefühl der Verbundenheit im gemeinsamen Wunsch nach einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft durchsetzt und dass das Verbindungen schafft, die eben bedeuten, nicht nur an sich zu denken.

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Hadija Haruna-Oelker

Autorin, Redakteurin & Moderatorin

ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet in Frankfurt am Main. Hauptsächlich ist sie für den Hessischen Rundfunk tätig. Sie moderiert die Römerberggespräche in Frankfurt, das Debattenformat »StreitBar« in der Bildungsstätte Anne Frank und die feministische Presserunde der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Rassismus- und Diversitätsforschung.

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